Religionsgeschichte Israels by Michael Tilly
Autor:Michael Tilly [Michael Tilly]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Geschichte
ISBN: 9783534734689
Herausgeber: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
18.2 Judentum und Hellenismus
Seit dem ausgehenden 4. Jh. v. Chr. lebte die Mehrheit der Bevölkerung des östlichen Mittelmeerraums unter dem grundlegenden Einfluss der hellenistischen Einheitskultur.487 Rege wirtschaftliche Kontakte mit Griechenland hatten indes schon Jahrhunderte zuvor bestanden. Mit den Handelswaren waren dabei immer wieder auch Ideen, Mythen, Geschichten und Riten ausgetauscht worden. Es kam zu einer sukzessiven Durchdringung der vorderorientalischen Lebenswelt mit griechischer Kultur und Lebensart und zu deren Rezeption in allen Bereichen des jüdischen Lebens, in Sprache und Literatur, Religion und Philosophie, Wissenschaft und Kunst, Politik und Wirtschaft, Bildung und Erziehung.
Der Hellenismus als allgemeines Zivilisationsmuster, das den östlichen Mittelmeerraum in einem langwierigen Prozess zu einer kulturellen Einheit zusammenfasste, prägte auch in Coilesyrien zunächst die führenden Gesellschaftsschichten. Die sichtbaren kulturellen Veränderungen betrafen zunächst die Nachbarhyparchien des Tempelstaates. Ebenso machten sie sich in der Mischbevölkerung der nach griechischem Polismuster organisierten Küstenstädte ungleich stärker und schneller bemerkbar als im mehrheitlich jüdisch besiedelten abgelegenen Hochland Judäas. Im politischen und religiös-kultischen Bereich dieser Städte kam es zu einer Zunahme der bildhaften Repräsentanz. In den ländlichen Gebieten Galiläas wurde der Hellenismus dagegen zunächst kaum wahrgenommen. Jedoch konnte sich auch dort niemand auf Dauer der allgemeinen Hellenisierung der Sprache, der Lebensform, aber auch der Religion völlig entziehen. Die Kulturen verflochten sich seit dem Beginn des 2. Jh.s v. Chr. auf vielen Ebenen.
Das Aufeinandertreffen der traditionellen religiösen und kulturellen Orientierung und der dominierenden Kultur der Umwelt wurde von den Menschen je nach ihrem individuellen Standpunkt und ihrer persönlichen Lebenssituation als Bedrohung, als Herausforderung oder als Bereicherung der eigenen kulturellen und religiösen Identität empfunden. Vor allem in den Städten machten viele Angehörige der aristokratischen Eliten von den neuen individuellen und gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich ihnen nun boten, regen Gebrauch.
Der erste Hellenisierungsschub unter den Ptolemäern und Seleukiden bewirkte auch eine Amalgamierung von griechischer, ägyptischer und römischer Religion mit den lokalen und regionalen orientalischen Kulten im Land (s.S. 155). Aus jüdischer Perspektive konnte diese religiöse Verschmelzung als massive Bedrohung durch ein vereintes Heidentum betrachtet werden, was die antihellenistischen Bestrebungen traditionell gesinnter Juden bestärkte.
Ein zweiter und dauerhafter Hellenisierungsschub folgte dem Beginn der unmittelbaren Herrschaft Roms über das ehemalige Hasmonäerreich. Die assimilatorischen Tendenzen erfassten nun auch größere Teile der jüdischen Wohnbevölkerung der nichturbanen Gebiete Coilesyriens. Vor allem in der Küstenebene und in den größeren Orten Judäas und Galiläas wohnten Juden und Nichtjuden nun in unmittelbarer Nachbarschaft. An vielen Orten lebten Juden in der Spannung zwischen ihrer Bindung an den einen Gott und die Tora und ihrer Öffnung gegenüber der nichtjüdischen polytheistischen Umwelt.
Die jüdischen Herrscher nahmen zwar zumeist Rücksicht auf das religiöse Empfinden ihrer jüdischen Untertanen, passten sich jedoch in ihrer Amts- und Lebensführung den neuen Gepflogenheiten an. Sie hielten in repräsentativer Weise Hof wie nichtjüdische Fürsten, strebten nach internationaler Anerkennung und lukrativen Handelsbeziehungen, erbauten Repräsentationsbauten und Paläste in griechisch-römischem Stil, Rennbahnen, Zirkusse und Theater.
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